Die Geschichte festgehalten in einem Augenblick
Gebäude sind dankbare Motive für Fotografen, sie halten still und mehr kann man von seinem Motiv nicht verlangen. Aus diesem Grund war es ein nahe liegendes Motiv für Josef Nicéphore Niépce als er 1827 das erste Foto der Geschichte aufnahm. 1841 wurde bereits in Paris im Album mit Daguerrotypien der Baudenkmäler des gesamten Globusses präsentiert. Gebäude der gesamten Welt konnten nun auf Fotografien betrachtet werden. Früh erkannte man den Wert der Beständigkeit einer Fotografie. Die erste staatliche Denkmalpflegebehörde 1849, nutzte die Architekturfotografie zur Inventarisierung aller bedeutenden französischen Bauwerke. Schon damals wurden die Gebäude nicht einfach fotografiert, vielmehr wurden Schlösser, Burgen und Kathedralen zu Monumenten stilisiert, zu Symbolen der Geschichte. Damit erreichte die Architekturfotografie ihren ersten Höhepunkt.
Julius Shulman prägte die Architekturfotografie des 20. Jahrhunderts. Er arbeitete für Architekten wie Richard Neutray, Frank Llloyd Wright und Frank O. Gehry. Seine Fotografien bilden eine wesentliche Dokumentation der modernen Architektur in Amerika. Eher zufällig machte Julius Shulman seine ersten Architekturfotos. Ein Freund nahm ihn mit zu einer Baustelle – Haus Kun, wo sich der Freund mit dem Bauunternehmer traf. Während dessen schlenderte Shulman über die Baustelle und machte einige Aufnahmen, die er dem Architekten des Gebäudes schickte. Richard Neutra war begeistert und Shulman hatte seinen ersten Auftraggeber.
Die Größe der Menschheit spiegelt sich in ihren Kunstwerken und ihrer Architektur wider. Neben diese materiellen Zeugnisse menschlicher Kreativität treten die genialen Schöpfungen der verschiedenen Musikepochen. Der Dirigent und sein Orchester können den Geist und die Werte des Komponisten wiederauferstehen lassen. Für die Bewertung und das Studium der Architektur stehen in ähnlicher Weise Tausende von Büchern in den Bibliotheken und Buchhandlungen. In ihnen sind die Ansichten der Kritiker, der Architekturhistoriker und zahlloser anderer Experten festgehalten. Julius Shulman.
Schon in den 30er Jahren mit Werner Moritz und Hugo Schmölz und nach dem Krieg mit dem Ehepaar Becker und Reinhart Wolf entwickelt sich das Architekturfoto zu einer „Kunstform“ für sich. Hochöfen, Fördertürme und Gasometer fotografierten Bernd und Hilla Becher seit den 1960er Jahren in dem Bewusstsein, dass diese Industriebauten den Geist des Montanzeitalters ebenso faszinierend verkörpern wie die Tempel der Antike – und deshalb ebenso abbildungswürdig und erhaltenswert sind. Mit ihrer Arbeit haben Bernd und Hilla Becher nicht nur ein fotografisches Gedächtnis aufgebaut sondern haben mit ihrem Still viele Fotografen geprägt. 1979 entsteht Reinhart Wolfs erste Buch „Gesichter von Gebäuden“ in dem alte Fabrikmauern und verschlissene Hauswände fast kraftlos und wie mit traurigem Blick gegen die polierten Flächen einer Fertigbauästhetik demonstrieren. Ebenfalls in den 70er Jahren des vergangen Jahrhunderts fotografiert Reinhart Wolf während mehrerer Reisen die Türme der Stadt New York, atemberaubende Aufnahmen entstehen.
2004 wurde das MoMa (Museum of Modern Art) in New York nach einem aufwendigen Umbau wiedereröffnet. Zur Eröffnung wurde ein deutscher Fotokünstler, Michael Wesely, geehrt. Mit einer speziellen Technik hatte er den Umbau des MoMa‘s dokumentiert. Jedes Bild wurde nur ein einziges Mal belichtet, drei Jahre lang. So hatte er auf magische Weise die Spuren der Zeit eingefangen. Das Ergebnis, bis zuletzt blieb unklar ob das Experiment überhaupt gelingen würde, ist ähnlich wie bei Nicéphore Niépce schemenhaft. Der Augenblick, den Fotografie gewöhnlich festhalten will, verschwindet in der Unschärfe. Gute Architekturfotografie zeigt uns Gebäude wie dem Katalog der Baukunst entnommen, klar und deutlich, dabei dem Wesen des Hauses auf der Spur. Herausragende Architekturfotografie, das belegt der Blick in die Geschichte, geht einen Schritt weiter: Sie vermittelt uns zugleich des Wesen der Zeit.
Medium der Wahrheit, Medium der Begeisterung, die Architekturfotografie als Marketinginstrument.
Wer als Architekt Begeisterung an seiner Arbeit und für seine Entwürfe und Bauten vermitteln kann, ist im Vorteil bei der Vorbereitung und Durchführung erfolgreicher Akquisition. Das prädestinierte Medium dafür ist die Fotografie: ein gutes Foto wirkt wie ein authentischer Beleg für gelungene Architektur. Fotografie dokumentiert und informiert, ist darum glaubwürdig. Fotografie bringt die wichtige emotionale Komponente in die Kommunikation hinein. Durch eine authentische Dramatisierung erreicht man eine Verstärkung der Wirkung des Objekts. Reale Architektur kann im Foto beinahe unwirklich erscheinen und damit nicht nur überzeugen, sondern begeistern. Fotografie inszeniert ein Ereignis: das Erlebnis Architektur. Einige Architekten geben Projektbroschüren heraus. Oft sind diese Broschüren reine Fotokataloge. Die Idee, die dahinter steht: Stimmungsvolle sensible Bilder als ideale Türöffner für die Akquisition kommender Architekturprojekte einsetzen. Mit solchen Broschüren kann das Profil festgelegt und der Charakter nach außen gestalten werden. Eine Konzentration auf das Bild – ein Bekenntnis zum Medium Fotographie. Entscheidend für die Zusammenarbeit zwischen Architekturbüro und Fotografen ist, dass der Fotograf die Intention der Architekten versteht und ihre Philosophie in Bildern umsetzen kann. Durch selbstständiges unabhängiges Arbeiten des Fotografen können die emotionalen Aspekte des Architekturerlebnisses auch adäquat umgesetzt werden.
Ist Architekturfotografie in der Regel Auftragsarbeit oder künstlerisch-fotografische Interpretation?
Architekturfotos stehen in einem ähnlichen Interessenkonflikt wie die Architektur selbst, die einerseits als eine der bildenden Künsten angesehen wird, andererseits von vielen Menschen einfach nur als gebautes Nutzen verstanden wird. Ein Architekt oder die bauausführenden Firmen benötigen Fotografien (eine Dokumentation) für ihr Portofolio oder für eine Publikation, beide wollen damit akquirieren, der Nutzen der Fotos liegt vordergründig darin. Der Fotograf wird zum Vermittler, zum Interpreten: er hat das Gebäude zwar nicht entworfen, muss aber vor Ort entscheiden, was im Bild funktioniert und was nicht. Und so bekommt der Architekt, der Auftraggeber, mitunter Ansichten zu Gesicht, die für ihn so nicht vorhersehbar waren und die nicht immer so sind, wie er sein Bauwerk gesehen haben will. Was sind die Kriterien für gute Architekturfotografie? Ist gut, wenn das Gebäude vor blauem Himmel erstrahlt, wenn alle Linien stramm und lotrecht angerichtet stehen, wenn die Umgebung ausgeblendet ist? Oder ist das gute Architekturbild betörend, perfekt im Ausschnitt, Komposition, in der Dramaturgie des Lichts und im Raffinement der Perspektive? Zeigt uns gute Architekturfotografie ein Gebäude wie aus dem Katalog der Baukunst entnommen, klar und deutlich, dabei dem Wesen, der Idee des Hauses auf der Spur oder vermittelt hervorragende Architekturfotografie auch das Wesen der Zeit? Das Bild von Architektur ist durch Publikationen geprägt, oft so sehr, dass es bei der ersten Begegnung mit dem Gebäude schwer fällt zu glauben, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, dass es dabei nicht immer um Wahrheit geht, scheint akzeptabel, dass das Maß an Glaubwürdigkeit zuweilen überschritten wird, rührt von einer Praxis der Bildgestaltung her, die sich vom Gegenstand entfernt und einer Geometrie der Abbildung den Vorzug einräumt. Dass mit der Auswahl, Anzahl und Größe der Abbildungen durch das Layout eine inhaltliche Fokussierung und Selektierung vorgenommen wird, erscheint nachvollziehbar, dass aber schon zum Zeitpunkt der Aufnahme mit Standpunkt, Wahl des Bildwinkels und eventuellen Verschiebungen einem jeden Bild ein bestimmtes Optimum an Abbildungsgröße eingeschrieben wurde, ist auf den ersten Blick nicht offensichtlich. Der Betrachtungsabstand für die Wiedergabe einer natürlichen, dem menschlichen Auge entsprechenden Perspektive wird in Publikationen oft verzerrt. Das wichtigste Darstellungsmittel gebauter Architektur ist die Fotografie. Eine Architekturzeitschrift ohne Architekturfotos: kaum vorstellbar. Natürlich sind die meisten Autoren in der Lage eine Gebäude mit Worten so zu be- und umschreiben, zu interpretieren und charakterisieren, dass ein oder mehrere erläuternde Fotos überflüssig werden. Aber in den meisten Magazinen dominiert das Foto. So hat, seit es die Möglichkeit gibt, Bilder zu drucken, sich diese Form der Fotografie etabliert. Bei den Zeitschriften geht es um Auflagensicherung und Abonnentengewinnung durch attraktive und professionell gemachte Abbildungen. Die Architekturfotografie ist eine undankbare Gattung. Sie verlangt leidenschaftslose Perfektion und die eindeutige Perspektive, sie ist Balanceakt zwischen Dokumentation und Interpretation. Selbst wenn sie nur das Gebäude zeigt, spiegelt sie doch immer auch ein momentanes, subjektives Gefühl wider. Am Anfang jeder Architekturreportage und – kritik stehen immer gute Bilder und die entstehen zuerst im Kopf. Und zwar nicht nur in den Köpfen der Fotografen, sondern auch beim Architekten, dem Autor und dem Art Director. Ein gutes Architekturfoto ist Teamarbeit.
„Ich will Architektur zeigen, wie sie ist. Architekturfotografie bedeutet: Zeigen, was man sieht. Ich will nicht eine künstliche Stimmung herbeizaubern. Ich nehme kein künstliches Licht, suche keine Lichteffekte...Ich bewege mich in einem Raum, beobachte die proportionalen Veränderungen, wenn ich mich nach vorn oder nach hinten, zur Seite, in die Höhe oder in die Tiefe bewege, und entscheide dann ähnlich einem Architekten, der eine Perspektive zeichnet und die Fluchtpunkte festlegt...“
Klaus Kinold
Was der Fotograf sieht und was er uns zeigt
Was also ist mit Architekturfotografie gemeint? Was möchten wir das der Fotograf uns über die Architektur bestimmter Gebäude in einem bestimmten Kontext auf seinen Bildern mitteilt? Wofür wird Architektur fotografiert oder welche Arten von Fotografen gibt es? Zum einen die von einem Architekt beauftragt, sein Werk als das aufzunehmen, was es nach seiner Fertigstellung, aber vor seinem Gebrauch ist: ein jungfräuliches Bauwerk. So erscheint es dann auch auf den Bildern: präzise und klinisch rein. Ein Dokument der besonderen Art da das Gebäude anschließend in sein eigentliches Dasein tritt; benutzt zu werden. Dann gibt es die „ach das kann ich doch selbst“. Diejenigen denen der perfekte Ausschnitt, die Dramaturgie des Lichts, lotrechte Linien egal zu sein scheint. Ein völlig überflüssiges Dokument entsteht, da die Architektur auf diesen Fotos keine guten Chancen hat. Und die Fotografen die die Architektur eines Gebäudes, seinen Gebrauch, seine Platzierung in dieser und keiner anderen, jedenfalls keiner beliebigen Umgebung, seine Wirkung auf die Benutzer ebenso wie auf die Passanten zeigen, sind sehr selten. Auf diesen Fotos spricht nicht die Architektur zu uns, sondern das Auge des Fotografen. Es sind nicht dokumentarische, sondern künstlerische Bilder. Also: Architektur? Fotografie! Bilder! Jeder könnte diese Bilder sehen. Doch haben wir es nicht gelernt zu sehen was wir sehen. Alle Sinnesorgane sind gut ausgebildet. Riecht es schlecht, fliehen wir; wird uns zu heiß oder kalt sorgen wir um Abhilfe; wird es uns zu laut schützen wir unsere Ohren. Und beim Auge? Wie verhalten wir uns wenn unser Auge beleidigt oder gemartert wird? Wir sehen darüber hinweg. Keiner unserer Sinne reagiert und agiert so oberflächlich wie das Auge. Weder in der Schule noch während des Studiums lernen wir den präzisen Gebrauch unseres Auges. Nur wenige Hochschulen haben „Sehen lernen“ als Gestaltungsgrundlage im Angebot. Wir schauen uns Fotos an und staunen was alles man sehen könnte, wenn man zu sehen gelernt hätte. So gesehen, kommt der Architekturfotografie obendrein eine pädagogische Bedeutung zu.
“I guess that‘s the problem with architectural photographers: they‘re more interested in buildings than cities” Rem Koolhaas